Energieintensive Unternehmen wandern schleichend aus Deutschland und Österreich ab – zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie des deutschen Handelsblatt Research Institute im Auftrag der Österreichischen Industriellenvereinigung und der voestalpine AG. Die energieintensive Industrie steigert demnach ihre Direktinvestitionen im Ausland, während sie im Inland den Kapitalstock schrumpfen lässt.
Die Ergebnisse der aktuellen Handelsblatt-Studie zeigen die Herausforderungen für die Standortpolitik in Deutschland und Österreich klar auf: Sowohl die Kosten für Arbeit als auch jene für Energie zählen in beiden Ländern zu den höchsten weltweit. Die Klimaschutzmaßnahmen der EU sowie die demografische Entwicklung in Bezug auf dringend notwendige Fachkräfte verschärfen das schwierige Umfeld für die Industrie noch weiter. Als Konsequenz verlagern vermehrt Industriebetriebe ihre Investitionen ins Ausland. Damit scheint das EU-Ziel, den Industrie-Anteil an der Bruttowertschöpfung von aktuell 15,1 Prozent (2013) bis 2020 auf 20 Prozent zu steigern, in weite Ferne gerückt.
„Die politischen Rahmenbedingungen für die energieintensive Industrie in Europa, insbesondere in Deutschland und Österreich, haben sich in den letzten Jahren enorm eingetrübt. Wenn hier auf politischer Ebene nicht gegengesteuert wird, dann wird sich die Deindustrialisierung in Europa noch weiter beschleunigen, mit allen negativen Folgen für Arbeitsplätze und Wertschöpfungsketten“, bringt es voestalpine-Vorstandsvorsitzender und Weltstahlpräsident Dr. Wolfgang Eder auf den Punkt. „Eine langfristige Planbarkeit ist kaum noch möglich. Energieintensive Industrieunternehmen wie die voestalpine sehen sich daher immer stärker gezwungen ihr strategisches Wachstum auf die außereuropäischen Märkte zu konzentrieren, da die globale Wettbewerbsfähigkeit aus Europa heraus immer weniger gegeben ist“, so Eder.
Dass die in der Studie angedeuteten Entwicklungen weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen, bestätigt auch IV-Generalsekretär Mag. Christoph Neumayer: „Eine Abwanderung der energieintensiven Industrie kostet Arbeitsplätze und hat deutliche Auswirkungen auf alle nachgelagerten Branchen sowie auf die Funktionalität von Netzwerken und Forschungsverbünden.“
Investitionsbereitschaft sinkt
Eine wesentliche Feststellung der Studienautoren ist die rückläufige Investitionsbereitschaft im Inland: Energieintensive Unternehmen investieren in Deutschland weniger als sie abschreiben – der Kapitalstock schrumpft und damit auch die Voraussetzung für künftiges Wachstum. In Deutschland gingen die Nettoinvestitionen der energieintensiven Industrie von +232 Millionen Euro (2000) auf -1,7 Milliarden Euro (2013) zurück. Die Diskrepanz zwischen einem starken Rückgang des Nettoanlagevermögens und einer überwiegend ansteigenden Produktion, legt die Vermutung nahe, dass der Standort Deutschland für diese Industriebranchen an Bedeutung verliert. Die Entwicklung stellt sich in Österreich, wenn auch abgeschwächt, ähnlich dar. „Es lässt sich aus der Studie ableiten, dass die Unternehmen der energieintensiven Branchen ihre Produktion schleichend ins Ausland verlagern und damit den industriellen Kern beider Länder sukzessive aushöhlen“, sagt der Managing Director des Handelsblatt Research Institute, Dirk Heilmann. Die Investitionen im Inland entwickeln sich in beiden Ländern jedenfalls deutlich weniger dynamisch als die Auslandsinvestitionen.
Höchste Arbeits- und Energiekosten weltweit
In Deutschland lagen die Arbeitskosten im verarbeitenden Gewerbe im Jahr 2013 bei 36,20 Euro pro Stunde, in Österreich waren es 33,20 Euro. Damit lagen beide Länder nicht nur deutlich über dem EU-Durchschnitt von 24,40 Euro, sondern auch über den Arbeitskosten wichtiger globaler Wettbewerber wie China, Japan und den USA. Zum Problem für die Industrie werden die hohen Arbeitskosten vor allem deshalb, weil sie seit einigen Jahren stärker steigen als die Produktivität. Während die Industriestrompreise exklusive aller Abgaben in Deutschland und Österreich unter dem EU-Durchschnitt liegen, sehen die zu zahlenden Preise deutlich anders aus: Deutschland liegt hier deutlich über den Preisen in Österreich und auch über dem EU-Durchschnitt. Verglichen mit den Industriestrompreisen der USA sind jene in Deutschland im Jahr 2014 sogar doppelt so hoch. Zusätzlich sorgen die Klimaschutzmaßnahmen der EU innerhalb der Industrie für Unsicherheit und machen eine langfristige Planbarkeit unmöglich.
Starkes industrielles Rückgrat als Garant für niedrige Arbeitslosigkeit
Deutschland und Österreich liegen mit industriellen Wertschöpfungsanteilen von 21,8 und 18,3 Prozent am BIP noch deutlich über dem EU-Durchschnitt von 15,1 Prozent. Dabei lässt sich auf einen positiven Zusammenhang zwischen einem hohen Industrieanteil und niedriger Arbeitslosigkeit gerade im Hinblick auf die vergleichsweise bessere Bewältigung der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise schließen. In Deutschland lag die Arbeitslosenquote per Juli 2015 bei 4,7 Prozent, in Österreich bei 5,8 Prozent. Der EU-Durchschnitt lag bei 9,5 Prozent (Quelle: Statista 2015).
Industrie als Arbeitgeber und Forschungstreiber
Als Arbeitgeber nimmt die Industrie in beiden Ländern eine bedeutende Rolle ein: Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Gesamtbeschäftigung lag 2013 in Deutschland mit 7,3 Mio. Be-schäftigten bei 17,5 Prozent. In Österreich lag der Anteil im selben Jahr mit 630.000 Beschäftigten bei 15 Prozent. Anders als im Durchschnitt der EU, konnte die Zahl der Erwerbstätigen im industri-ellen Sektor seit zehn Jahren in beiden Ländern fast konstant gehalten werden. Als wesentlicher Finanzier von Forschung und Entwicklung ist die Privatwirtschaft, und allen voran die Industrie, ein bedeutender Stützpfeiler der Wissensgesellschaft in beiden Ländern. Gut 85 Prozent der privaten F&E-Ausgaben in Deutschland (53 Mrd. Euro) und 63 Prozent der österreichischen F&E-Ausgaben (6 Mrd. Euro) stammen aus der Industrie.
Fachkräftemangel verschärft sich zunehmend
Der Anteil der Schulabgänger in Deutschland, die ein Studium anstelle einer dualen Berufsausbil-dung beginnen, lag im Jahr 1997 bei rund 31 Prozent – im Jahr 2014 waren es bereits 52 Prozent. Die Berufsausbildung verliert damit relativ an Bedeutung. Zusätzlich zum generellen Rückgang verfügbarer Arbeitskräfte aufgrund des demografischen Wandels, droht der Industrie damit ein dramatischer Fachkräftemangel auf nicht-akademischer Ebene, der in einigen Branchen bereits heute stark ausgeprägt ist.
- Studie: Zukunftszenarien der energieintensiven Industrien in Deuschland und Österreich
- Veröffentlichung: September 2015
- Studienautor: Dirk Heilmann, Handelsblatt Research Institute
Quelle: http://www.voestalpine.com/group/de/presse/presseaussendungen/2015-10-01-studie-schleichende-abwanderung-energieintensiver-industrie-droht.html