0/2015 – Wenige Branchen profitieren derart von zunehmendem Umwelt- und Klimaschutz wie die Aluminiumindustrie. AMAG-Vorstandsvorsitzender Helmut Wieser investiert daher massiv am oberösterreichischen Standort Ranshofen, um mit Flexibilität und Kundennähe der steigenden Nachfrage aus Automotive und Luftfahrt gerecht zu werden.

„Ohne Globalisierung würde es Österreich als Industrieland nicht mehr geben. Daher verstehe ich nicht, warum das Thema mitunter negativ behaftet ist.“
Helmut Wieser

corporAID: Was bedeutet Globalisierung für Österreich?

Wieser: Vor allem Chancen. Ohne Globalisierung würde es Österreich als Industrieland nicht mehr geben. Daher verstehe ich nicht, warum das Thema mitunter negativ behaftet ist. Ich denke dann immer, dass diese Personen oder Firmen wohl ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Nehmen Sie nur die Wachstumsschwäche, mit der wir in Europa schon seit Jahren konfrontiert sind – und vergleichen Sie das mit den USA oder China und Indien. Hier wächst nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Bevölkerung. Das dortige Wirtschaftswachstum ist faktisch ein Garant für unseren Wohlstand und unsere Arbeitsplätze. Ich sehe Globalisierung daher ganz stark als Stabilitätsfaktor. Nicht zuletzt investieren wir gerade wegen der Globalisierung in den Standort Österreich.

Sie haben gerade mehr als 200 Mio. Euro in Ranshofen investiert. Was sprach für den Standort Österreich?

Wieser: Man schaut sich immer verschiedene Optionen an – China und die USA sind für uns immer spannende Märkte. Nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung ist auch Mexiko für uns interessant. Grundlage der Standortentscheidung für Ranshofen ist die eingesetzte Technologie, mit der wir Aluminium bis zu 80 Prozent aus Schrott erzeugen können. Für Ranshofen spricht zudem die Nähe zu wichtigen Kunden wie BMW, Audi oder Mercedes. Auch Airbus hat viele Produktionsstätten und Zulieferer in Südbayern. Wir beziehen von unseren Kunden ja auch in hohem Ausmaß unser Rohmaterial, nämlich deren Aluminiumschrott. Unsere LKW fahren also voll geladen hin und zurück. China importiert Schrott aus Afrika und Amerika, wir nur aus einem Umkreis von bis zu 800 Kilometern. Dieses Kreislauf-Recyclingsystem, das nur wenige Erzeuger auf der Welt zustande bringen, spart 95 Prozent der Energie, die für die Gewinnung von Aluminium aus der Schmelzfluss-Elektrolyse nötig wäre. Sie können Aluminium unendlich oft recyceln – es gibt keinen anderen Werkstoff, mit dem das mit einem Abbrandverlust von nur zwei Prozent geht. Viele denken, dass wir in Ranshofen einen sehr hohen Stromverbrauch haben. Dabei wurde unsere Elektrolyse bereits vor 23 Jahren an unsere kanadische Tochterfirma Alouette ausgegliedert, wo wir Primäraluminium mit Strom aus Wasserkraft produzieren.

Im Gespräch mit Bernhard Weber.

Der entscheidende Faktor für den Ausbau von Ranshofen ist also die Nähe zu Kunden und Lieferanten? 

Wieser: Das ist ein wesentlicher Punkt. Wir haben aber zudem ein hohes Ausbildungsniveau in Österreich – und zwar sowohl bei der dualen als auch bei der universitären Ausbildung. Wir bieten etwa den besten Studenten die Möglichkeit, ihre Diplomarbeit oder Dissertation bei uns zu machen. Einige bleiben nach ihrem Abschluss bei uns – und können sich problemlos mit den Absolventen von Eliteuniversitäten messen. Auch viele unserer Lehrlinge sprechen übrigens hervorragend Englisch. Weiters sind wir in Österreich mit HTL und Fachhochschulen gut aufgestellt. Wobei es natürlich sein kann, dass meine Perspektive etwas einseitig ist, da wir aufgrund unseres guten Namens wahrscheinlich nur mit den Besten zu tun haben.

Wie sehen Sie die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs allgemein?

Wieser: BMW hat in den vergangenen fünf Jahren Umsatz und Ergebnis Jahr für Jahr gesteigert – an solchen Unternehmen richten wir uns aus. Wenn Sie heute an diese liefern, Ihre Konkurrenzfähigkeit aber nicht weiterentwickeln, dann liefern Sie schon sehr bald nicht mehr. Über Konkurrenzfähigkeit kann man immer diskutieren. Wenn Sie aber mit großen Firmen langjährige Lieferverträge haben und dabei Geld verdienen, können Sie davon ausgehen, konkurrenzfähig zu sein. Unternehmen wie das unsere gibt es viele in Österreich: Ein Exportanteil von 85 Prozent spricht ohnehin für sich.

Aber auch wenn ich mich jetzt gerade aus meiner langen Auslandserfahrung heraus so deutlich für den Standort Österreich ausspreche, heißt das nicht, dass sich die Politik nicht stärker bemühen müsste. Wir fallen in allen einschlägigen Rankings zurück – das ist schlecht.

Wie geht es Ihnen mit den Umweltschutzauflagen in Österreich?

Wieser: Ich war jetzt 15 Jahre im Ausland – Umweltauflagen haben Sie überall. Auch in Russland sieht man sich mit strengen Umweltauflagen konfrontiert. Das ist auch in Österreich so – und wir erfüllen das. Gut möglich, dass es vor 20 Jahren in Polen oder Rumänien eine Deponie gab, auf die keiner schaute – aber das ist längst Vergangenheit. Und selbst wenn es so etwas noch irgendwo geben sollte, könnten wir es uns als AMAG einfach nicht leisten, gegen irgendwelche Umweltrichtlinien zu verstoßen. Wir arbeiten mit Top-Kunden in einem Premium-Segment, wir leben vom Vertrauen unserer Kunden. Das heißt auch, dass wir nachhaltig wirtschaften müssen und unseren Ruf nicht durch nachlässigen Umweltschutz gefährden dürfen.

Ist Umweltschutz Treiber oder Bremse für die AMAG? 

Wieser: Auf alle Fälle ersteres. Beispielsweise macht Airbus die Vorgabe, dass jeder neue Flugzeugtyp leichter als das Vorgängermodell sein muss. Es gibt die Faustregel, dass jedes Kilo weniger über die Lebenszeit eines Flugzeugs 100.000 Dollar an Treibstoffkosten einspart. Bei jeder neuen Generation sprechen wir also von rund 20 Prozent Treibstoffeinsparung. Für den Automobilbereich besteht in den USA die gesetzliche Regelung, dass der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch bis 2025 um mehr als die Hälfte reduziert werden soll. Das ist Musik in unseren Ohren! In Europa soll der CO2-Ausstoß von heute durchschnittlich 140 Gramm pro 100 Kilometern auf 95 Gramm sinken – das ist eine Welt und bedeutet, dass im Schnitt jedes Auto rund 100 Kilo leichter werden muss. Wir als AMAG sind daher sowohl in der Flugzeug- als auch in der Automobilindustrie enorm gefordert, entsprechend leichte Aluminiumteile zu liefern.

Wie treiben Sie Innovation voran?

Wieser: Vor allem im Unternehmen, denn im Prinzip muss uns jeden Tag etwas Neues einfallen. Das klingt vielleicht simpel, ist es aber keineswegs. Meine Mitarbeiter arbeiten dafür eng mit den Herstellern zusammen. Mit unseren wichtigen Kunden sind also nicht nur unsere Verkäufer in Kontakt, sondern auch die Ingenieure und Recycling-Experten – wir sprechen hier von Application Engineering, also Anwendungstechnologie. Hier liegt unsere große Stärke. Hinzu kommt, dass wir als mittelgroßes Unternehmen ziemlich flexibel sind. Gleichzeitig brauchen wir einen hohen Grad an Zuverlässigkeit. Wenn Sie sowohl mit Boeing als auch Airbus oder mit Audi und BMW zusammenarbeiten, brauchen Sie strenge Firewalls zwischen den einzelnen Teams.

„Wir investieren, weil die Nachfrage steigt. Es ist mir noch kein Kunde begegnet, der nicht gesagt hat: Ich will mehr von euch!“ Helmut Wieser

Wo sehen Sie die Grenzen Ihres Wachstums? 

Wieser: Es werden derzeit fast 85 Millionen Autos pro Jahr erzeugt, und es werden noch mehr. Dabei ist es so, dass der Aluminiumanteil steigt – insbesondere im höherpreisigen Segment. Die Karosserie der früheren Mercedes C-Klasse bestand zu weniger als zehn Prozent aus Aluminium, bei der neuesten Generation sind es bereits 50 Prozent. Früher hatte man Stahlfelgen, heute gibt es praktisch nur mehr Aluminiumfelgen. Auch unser zweiter Hauptkunde, die Flugzeugindustrie, wird sich in den nächsten 20 Jahren verdoppeln. Hier unsere Kapazitäten entsprechend aufzustocken, ist eine Herausforderung: Da müssen wir ein 300 Mio. Euro-Projekt managen. Wir investieren, weil die Nachfrage von praktisch jedem Kunden steigt. Es ist mir noch kein Kunde begegnet, der nicht gesagt hat: Ich will mehr von euch! Das gibt schon Zuversicht.

Wie weit war der Weg von einem verstaatlichten Unternehmen zu Beginn der 1990er Jahre zur heutigen Erfolgsstory?

Wieser: Es hat 20 Jahre gedauert, dieses Unternehmen zu transformieren – von 1992 bis zum Börsengang 2011. Dabei ging es einerseits darum, den Einfluss der Politik zu beenden und zu erreichen, dass kein Minister mehr anruft – ich glaube nicht, dass der Staat ein guter Eigentümer ist. Es war aber auch schwierig, den Mindset der Mitarbeiter zu ändern, dass ich mein Geld nicht mehr unabhängig von meiner Leistung bekomme. Früher hat die verstaatlichte Industrie ständig Subventionen erhalten, heute stemmen wir unsere Investitionen aus unseren Überschüssen. Die Mitarbeiter sind am Unternehmen mit etwas mehr als 11 Prozent beteiligt. Damit haben Sie auch intern keine Diskussion, ob jemand arbeiten möchte oder nicht.

Wie gehen Sie mit der gesellschaftlichen Verantwortung um?

Wieser: Den größten Nutzen für die Gesellschaft bringen wir, wenn wir wirtschaftlich erfolgreich sind. Der Multiplikatoreffekt unserer Investitionen für die österreichische Wirtschaft liegt ungefähr bei fünf. Ich war im vergangenen Jahrzehnt in den USA tätig, und dort hat das soziale Engagement von Unternehmen eine große Bedeutung – ich selbst war in eine Vielzahl von Sozialprojekten involviert, die über die Unternehmensstiftung umgesetzt wurden. Bei der AMAG setzen wir stark auf Community Engagement, vor allem bei uns am Standort im Innviertel. Also dort, wo unsere Mitarbeiter und ein Teil unserer Lieferanten sind. Daher unterstützen wir auch Freiwilligenarbeit der Belegschaft im Sozialbereich.

Spüren Sie hier auch vom Kapitalmarkt einen gewissen Druck?

Wieser: Immer mehr – und jeder, der es noch nicht sieht, ist auf dem falschen Weg. Auch immer mehr Kunden verlangen von uns, dass wir uns mit diesen Themen qualifiziert auseinandersetzen. Ich persönlich mache das aber aus innerer Überzeugung – schon in den vergangenen zehn Jahren habe ich Verantwortung und Nachhaltigkeit mitgestaltet, mitgetragen, mitgefühlt – und das in einem vergleichsweise schwierigen Umfeld in den USA. In unserem ersten Nachhaltigkeitsbericht 2013 haben wir unser Engagement strukturiert. Der Bericht deckt die vielen Themen ab, die sich nicht zuletzt aus einem Nachhaltigkeits-Dialog mit Kunden, Anrainern, Mitarbeitern und Lieferanten ergeben haben. Heuer planen wir für unseren zweiten Bericht zusätzlich eine Online-Befragung – wir orientieren uns damit noch stärker an den Richtlinien der Global Reporting Initiative.

Sie haben Ihr ganzes Leben lang Dinge vorangetrieben. Was treibt Sie persönlich an?

Wieser: Ganz Österreich ist beim Fußball heute euphorisch angesichts der tollen EM-Qualifikation. Der Trainer hat hervorragende Arbeit geleistet, und es wird ihn ungemein zufrieden stimmen, wenn er die Euphorie spürt. Bei mir ist das ähnlich: Ein Unternehmen weiterzuentwickeln, ein innovatives Umfeld zu schaffen und zu sehen, wie die erzeugten Produkte einen Bedarf decken und Wohlstand schaffen – das befriedigt ungemein. Mich treibt die Herausforderung an, in Österreich zu investieren – obwohl man da und dort hört, dass das nicht ginge – und dann mit den Produkten beim Kunden zu landen und Erfolg zu haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

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ZUR PERSON:

Helmut Wieser übernahm 2014 den Vorstandsvorsitz des österreichischen Aluminiumkonzerns AMAG Austria Metall AG. Der 62-jährige Oberösterreicher ist seit knapp 25 Jahren in der Aluminiumindustrie tätig, zuletzt als Manager beim US-Konzern Alcoa. Nach seinem Studium an der TU Graz war der Maschinenbauingenieur zunächst für die Voest und von 1990 bis 2000 in verschiedenen Managementpositionen bei der AMAG tätig.

Headquarter der AMAG im oberösterreichischen Ranshofen

ZUM UNTERNEHMEN:

Die AMAG Austria Metall AG ist der größte österreichische Aluminiumerzeuger und produziert am oberösterreichischen Standort Ranshofen sowie im kanadischen Alouette hochqualitative Walzprodukte, Gusslieferungen und Primäraluminium für den Maschinenbau, die Automobil- und Luftfahrtindustrie, die Transport-, Elektro- und Bauindustrie sowie Ski- und Sportartikelhersteller. Die AMAG wurde 1938 als Aluminiumhütte gegründet, 1948 als Österreichische Metallwerke AG verstaatlicht und 1996 privatisiert. Mit einer Belegschaft von rund 1.800 Mitarbeitern wurde im Geschäftsjahr 2014 ein Umsatz von 823 Mio. Euro erwirtschaftet.

© corporAID Magazin Nr. 60
Das Interview führte Bernhard Weber.
Fotos: Mihai M. Mitrea